Tanzende Motoren

Zu den music machines von Joe Jones

 

Der Motor, Inbegriff gleichförmig kontrollierter Bewegungseffizienz, Grundlage industrieller Produktions- und Geschwindigkeitssteigerung auf den Wegen von A nach B, wird von Joe Jones auf spielerische Weise aus der Bahn geworfen. Von ihrer eindimensionalen Zweckmäßigkeit befreit, beginnen bei ihm die Motoren zu tanzen. Mit seiner Methode, einfache handelsübliche Elektromotoren mit Hilfe einer speziellen Aufhängung über Musikinstrumenten zum Tanzen zu bringen, öffnet er ein Feld für Rhythmen, deren Strukturen auf unvorhersehbare Weise zwischen Wiederholung und Variation oszillieren.

 

Die tranceartige Wirkung, die insbesondere in Verbindung mit den drones der von ihm ebenfalls mit Motoren angeregten Saiteninstrumente entsteht, wird immer wieder durchbrochen durch überraschende Pausen, Rhythmusänderungen, Überlagerungen und Variationen. Er verleiht ihrer Bewegung und damit den Klangstrukturen seiner music machines poetische Momente voller Überraschung und Unvorhersehbarem. Sein spielerischer Dekonstruktuvismus ist dabei voll humorvoller Leichtigkeit.

 

Das Werk von Joe Jones habe ich zunächst als Handwerker kennengelernt. Im Rahmen umfangreicher Umstrukturierungsmaßnahmen der Sammlung Berger war ich damit beauftragt, die Objekte von Joe Jones zu archivieren und zu restaurieren. Durch das Zusammenpacken der von ihm bis zuletzt benutzten Werkstatt habe ich detaillierte Einblicke in seine Arbeitsweise erhalten. Seither werden diese Arbeiten von mir für zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland vorbereitet und teilweise auch aufgebaut. Hierin nehme ich mir die Freiheit, die strenge Werktreue zu verlassen, und selber, aus eigenem Empfinden, eine dem jeweiligen Raum angemessene Installation vorzunehmen.

 

„Kultur ist eine Ordensregel“. Diese von Sloterdijk in seinem Buch Du musst dein Leben ändern (Frankfurt, 2009) zitierte Aussage von Wittgenstein kommt mir im Zusammenhang mit Joe Jones immer wieder in den Sinn. Dem Erstellen der neuen Ordensregel geht eine Sezession voraus. Provokante Abgrenzung gegenüber allem Alten, Etablierten, das die Entwicklung zum Neuen hemmt, da es immer schon weiß, was richtig ist.

 

Schwarz: mit dem Färben der Instrumente durch Sprühlack verlässt der studierte Musiker Joe Jones endgültig den Bereich der Musik. Es ist ein Affront, ein Schmerz für jeden Musiker und Instrumentalisten. Denn die Instrumente sind für den musikalischen Vortrag unbrauchbar gemacht, akustisch getötet worden (waren es allerdings zum Teil schon zuvor, da er sie von Trödlern und dem Sperrmüll holte). Er überführt sie in die Welt der bildenden Kunst. Das Musikinstrument wird zum Objekt, dessen visuelle Reduktion zu einer grafischen Überhöhung führt, die harmonisch mit seinen in schwarzer Tusche ausgeführten Zeichnungen korrespondiert.

 

Die Pflege und Stimmung des Instrumentes sind die Grundaufgaben des Instrumentalisten. Auch in diesem zweiten Punkt verhält sich Joe Jones provokant „unmusikalisch“. Er überlässt die Stimmung dem Zufall. Ben Pattersen, mit dem er befreundet war, und lange Zeit zusammen im selben Haus bei Michael und Ute Berger in Wiesbaden Erbenheim wohnte, habe ich dazu befragt. Er sagte mir, dass Joe Jones an Fragen der Stimmung überhaupt nicht interessiert gewesen sei. Er habe ab und zu, wenn die Saiten zu schlaff wurden, ein wenig nachgespannt, ohne dabei jedoch die Tonhöhen zu kontrollieren. Damit verlässt er das Fundament der Musik, den Umgang mit Proportionen von klar definierten Frequenzen.

 

Vielleicht ist gerade das Verlassen der von strengen Regelwerken bewachten Felder der Musik notwendig, um zum Wesen des Klangs hinabzusteigen oder vorzudringen. Wie der Klangkünstler Max Neuhaus in einem Gespräch über seinen skulpturalen Umgang mit Klang beschreibt, steht er bei ihm bewusst außerhalb der Musik. Er verwendet Klang nicht in einem Kontext organisierter Kontinuen, sondern lässt ihn als eigenständiges Wesen gewissermaßen zu sich selbst kommen.

 

Nach dem Verlassen des Alten, Engen, Bestimmenden im provokanten Aufbruch kommt es zu einer Setzung des Neuen in einer „Ordensregel“. Fluxus. Bei Joe Jones ist es ein klar umrissener Kanon an Elementen in seinen Arbeiten: schwarz lackierte Instrumente, Elektromotoren, Gummibänder, Tischtennisbälle, über Fahrradmechaniken angetriebene Fahrzeuge. Und schließlich, als wichtigen Impuls in eine neue Zeit und ein neues Denken im Umgang mit Energie, schon sehr früh die Verwendung von Solarzellen. Hier entsteht eine direkte Verbindung zur Energie der Sonne, die Maschinen spielen immer dann, wenn die Sonne scheint. Ich habe es häufiger im Büro des Sammlers Michael Berger erlebt, bei dem ein Solarobjekt von Joe Jones im Fenster hing, dass es plötzlich und unvermittelt zu spielen begann, wenn gerade die Sonne hinter einer Wolke hervorkam. Und das führte häufig zu Momenten des Innehaltens, Lauschens, Lächelns.

 

Joe Jones war Franziskaner, der Buddhismus war wichtig für fluxus. Im Bild sind wir dem Gesehenen gegenüber gestellt, der Klang ist in uns und wir im Klang. Ein Mittel zur Verbindung. Joe Jones öffnet dem, was von alleine geschieht, eine Tür, lässt es zu, greift so wenig wie möglich selber ein, schafft Raum, in dem das Unvorhersehbare, Unsagbare, Unwahrscheinliche geschehen kann.

Seine Installationen sind auch Meditationsräume auf dem Weg zum mount improbable (Sloterdijk, ibid.). Hierin sehe ich ihn als Vorläufer einer Bewegung der drone music, die, von Australien kommend, sich weltweit ausbreitet. Vom Impuls des Didgeridoos ausgehend, erzeugen die drone Musiker komplexe Klanggemische, die skulpturalen Charakter haben. Alles geschieht in der Binnenstruktur eines Klanges. Es geht nicht um Entwicklung im musikalischen Sinn, sondern um ein tieferes Eintauchen in den Klang an sich.

 

"Es charakterisiert die Mystiken, dass sie die Grundtendenz der psychischen Entwicklung vom Flüssigen ins Feste umkehren. Sofern mystische Lehren überhaupt sich dafür eignen, Schule zu machen, lassen sie sich am ehesten als Tauchschulen interpretieren; auf ihnen lernen verfasste Subjekte, vom Festen ins Flüssige überzugehen. Während Helden auf ihrem Individuationsweg nichts anderes im Sinn haben, als festen Boden für eigene Wege unter die Füße zu bekommen, sind Mystiker darauf aus, Individuen von ihren festen Vorstellungen über ihre sogenannten eigenen Wege abzubringen." Und weiter unten auf S. 72: "Erzeugt das Gegenübersein einen "Horizont", so bewirkt das In-Sein die Lösung des Subjekts in einer Sphäre." (Peter Sloterdijk, ibid.)

 

„Ich habe nichts über fluxus zu sagen und ich sage es – das ist Künstlerwissenschaft, wie ich sie verstehe.“ Dieses abgewandelte Cage-Zitat zeigt die Situation, in der sich ein Künstler befindet, der sich anschickt, über Kunst zu sprechen.  In dem hier verwendeten Begriff Künstlerwissenschaft steckt eine öffnende Paradoxie: Künstler oder Wissenschaftler, bestenfalls kann es noch heißen Kunst und Wissenschaft, doch Künstlerwissenschaft? Ein Widerspruch? Oder künstlerische Logik.

 

Kunst ist unwissenschaftlich und fluxus feiert das. Öffnet immer wieder in spielerischer Leichtigkeit die mühsam abgesteckten Claims und Grenzen. Zeigt mühelos,  wie begrenzt Logik und Vernunft für das Verstehen sind. Und darin gibt es in besonderen Glücksmomenten Berührungen mit dem Kern, dem Unfassbaren, Unmöglichen, Unaussprechlichen. Jeder Künstler kennt diese Momente, weiß genau: jetzt ist alles andere egal, das ist es. Die Erklärungen, Einordnungen, Ausarbeitungen dieses Momentes folgen später. Hierin liegt die Verantwortung der Kunst, sich entgegen aller Widerstände und Unwägbarkeiten aus diesem Impuls heraus zu bewegen.

Man kann das alles auch anders handhaben: die Kunstgeschichte betrachtend, aktuelle Strömungen analysierend, kann ich Werke schaffen, die genau in den Zeitgeist passen, und damit fatalerweise sogar am Markt Erfolg haben. Diese Gefahr haben die Fluxisten erkannt und sich provokant allen etablierten Institutionen gegenüber verhalten.

Ich glaube nicht, dass dabei die Provokation als solche im Vordergrund stand. Sie erscheint mir als notwendige Befreiungsmaßnahme, um dem Wesentlichen Raum zu verschaffen gegenüber kategorisierendem Vereinnahmungsverhalten des Kunstbetriebes und der Kunstwissenschaft.

Darin ist fluxus gescheitert, sonst säßen wir heute nicht hier. Und darum muss es auch heißen: fluxus ist tot. (Im Nachhall höre ich dabei unausgesprochen die Antwort: es lebe fluxus! ).

 

 

Es freut mich daher, dass mir im Rahmen der aktuellen Ausstellung Raum gegeben wird, klangkünstlerisch Kommentare zur Arbeit von Joe Jones zu geben:

 

tuning

 Dieses elektronische Stück beschäftigt sich mit der Frage der Stimmung der in den Installationen von Joe Jones verwendeten Saiten-Instrumente. Es beginnt mit einer zufälligen Stimmung, so wie ich sie beim Emporen-Orchester im Fluxeum in Wiesbaden Erbenheim vorgefunden und aufgenommen habe. Nach und nach verändern sich in einer langsamen Metamorphose die Tonhöhen der einzelnen Instrumente und bewegen sich in verschiedene harmonische Zusammenhänge, bis sie sich schließlich alle auf einem Akkord bündeln.

 

slow down

 Bei den verschiedenen Ausstellungen, zu denen ich in den letzten Jahren Arbeiten von Joe Jones aufgebaut habe, kam es immer wieder vor, dass ein Motor, der ausgefallen war, von der Haustechnik durch einen ähnlichen, aber viel schneller laufenden ersetzt wurde. Hierdurch wurde das Wesen der Objekte von Joe Jones ad absurdum geführt. Wie ein tobender Wahnsinniger rappelten jetzt die Maschinen, bar jeder Poesie. Nur wenn die Motoren langsam genug laufen, entfalten sich die von ihnen angeregten Klänge. Nur so ist es möglich, in die Strukturen hinein zu hören, nur dann können sie ihre Wirkung entfalten. Diesen Aspekt vertieft die Arbeit slow down. Die Röhren-Objekte, die ich 2007 erstmals in der Konzertperformance the big five verwendet habe, übernehmen hier den Impuls der von einem Elektromotor zum Klingen gebrachten tubular bells von Joe Jones. In slow down entschweben nicht nur die Klänge in den Raum, sondern die Röhren selbst. Zugleich nimmt die Geschwindigkeit immer mehr ab, wie ein mikroskopischer Blick in Zeit und Raum in das Innere des Objektes tubular bells: Zunächst stehen die Akteure eng beieinander, die gelben Plastikröhren mit den Aluminium Klangröhren bilden einen Kreis. Analog zur Bewegung des Elektromotors bei Joe spielen sie die Röhren. Nach und nach entfernen die Akteure sich vom Zentrum, verteilen sich im Raum. Die Anzahl der ausgelösten Klänge nimmt dabei stetig ab.

 

circular movement

 Das Kreisen als Grundmotiv verschiedener Klangaktionen: Das Kreisen eines Glases auf verschiedenen Untergründen. Gänge mit meinen Rhythmusrädern. Ein Mikrofon mit Fühlern tastet sich über einen Kreis aus verschiedenen Materialien. Die Klangkostüme mit den Tischtennisbällen.

 

drone for Joe

 Unter Verwendung eigener Langsaitenobjekte baut sich ein immer vielschichtiger werdender drone auf. Die Tonhöhen sind hier auf die Naturtonreihe eingestimmt.

 

freedom

 Das Denken von John Cage, das jeden Ton als freies, unabhängiges Individuum hört, ist faszinierend. Es scheint unserem visionären gesellschaftlichen Denken und dem Entwickeln von systemischen Utopien zu entsprechen. Und doch ist diese Musik schwer zu hören, ist nur wenigen zugänglich, wirkt auf mich schon jetzt veraltet. Woran liegt das?

Ich glaube, es liegt nicht am Grundgedanken, sondern an der Geschwindigkeit. Die einzelnen Töne huschen schnell dahin, kleine individuelle Klangmomente, die kurz aufleuchten und sofort wieder verschwinden. Was, wenn wir ihnen länger zuhören könnten? Ihnen Zeit geben, sich in ihrer Individualität zu entfalten. Wie lässt sich der Instrumentalklang dehnen, um tiefer und intensiver in den Klang selbst hinein lauschen zu können? Wenn wir einen bestimmten Ton wieder und wieder spielen und hören, gibt er nach und nach mehr von seiner inneren Struktur Preis. Die Zusammensetzung seiner Obertöne wird allmählich hörbar. Ebenso der charakteristische Verlauf seiner Hüllkurve, minimale Schwankungen seiner Tonhöhe, seiner Färbung werden erfahren. Wenn wir kompositorisch dieses Hineinhören sich in der Zeit entfalten lassen, bleiben wir immer noch bei diesem einen von Hierarchien befreiten Ton. Doch werden die Begegnungen mit den Klängen und die Begegnungen der Töne untereinander ihre Flüchtigkeit verlieren.

Ausgang der Komposition ist ein struktureller Punkthaufen, dessen Punkte sich nach und nach dehnen, weiter werden, und dem Zuhörer ihre Binnenstruktur öffnen. In der Begegnung mit anderen Punkten, die sich in einem ähnlichen Verlauf öffnen, entstehen harmonische, konsonante und dissonante Überlagerungen.

 

 

 

Axel Schweppe  -  (Beitrag aus dem Ausstellungskatalog)

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